Erstaunlich was Flo alles in seinem Auto unterbekommt. Vier Bikes nebst zugehörigen Fahrern, Rucksäcken, Packtaschen und vielen Reservereifen. Zu viert in einem Auto, da geht es eng zu. Gepäck sparen ist angesagt. Offensichtlich kann in dieser Situation jeder von uns auf die Lieblingskuscheldecke verzichten, aber nicht auf seinen Lieblingsreservereifen. Irgendwann ist aber auch der letzte Gummi verstaut, die Ladeluke wird geschlossen und auf geht’s in die Dolomiten.
Wir, das sind übrigens Flo, Werner, Bernd und ich. Und in Canazei wartet bereits Claude auf uns, der als Quartiermeister schon seit mehreren Tagen vor Ort ist.
Dolomiten. „Louis-Trenker-County“. Eigentlich bin ich nicht so begeistert davon in diese Hochburg der Bergwanderer zu fahren. In meiner Vorstellung wird der bikebergsteigende Mountainbiker dort gerädert und gesteinigt. Eventuell auch geteert und gefedert – welch drohende Bedeutung dem Begriff „vollgefedert“ plötzlich inne wohnt. Jedenfalls war ich nicht davon überzeugt, dass unser Tourenziel durch Einsamkeit glänzen würde.
Werner, der sich für die Tourplanung verantwortlich zeichnet, ist hingegen optimistisch. Noch sind keine Ferien, da wird schon nicht so viel los sein, meint er.
Ein vielfacher Irrtum. Denn wie es sich so trifft planen wir nichts ahnend an einem italienischen Feiertag auf einem nicht unbekannten Wanderweg aufzukreuzen. Und wir ahnen auch nicht, dass wir zur Attraktion der Bergwelt werden. Ich möchte sagen: gleich nach den Murmeltieren. Denn heute ist Wandertag der versammelten 10ten Klassen eines Regensburger Gymnasiums. Offensichtlich ist es seit Jahrzehnten Tradition dieser Gymnasiasten den Niederungen Niederbayerns zu entfliehen und in der gefühlten Stärke einer Hundertschaft auf unserem Gipfel aufzukreuzen. Natürlich nicht einfach so, sondern erstaunlicherweise fast in Reih’& Glied von einem erfahrenen Bergführer geleitet, der seit 30 Jahren diesen Gipfel besteigt und heute – ja ausgerechnet heute – hier zum ersten Male Mountainbiker trifft.
Bernd fährt vom Gipfel ab
Wir müssen aufpassen keinen Steinschlag auszulösen, so sein professioneller Hinweis. Worauf Claude ihm versichert, dass wir uns dessen bewusst sind und unser ganzes Streben der Vermeidung des Steinschlages gilt. Und wir verursachen auch tatsächlich keinen Steinschlag, was man von seinem Schüler-Klientel nicht in jedem Fall sagen kann. Er hält die Befahrung dieser Strecke für sehr schwierig und gefährlich. Wir widersprechen nicht, denn was hört das Ego lieber als solche eine Anerkennung aus berufenem Munde.
Der Weg ist steil, schmal und felsig. Kein Wunder, dass vor einer der Schlüsselstellen die kompletten Schulklassen auf uns auflaufen. Und während sich die meisten von uns – Werner teils fahrenderweise, alle anderen eher tragenderweise – aus dem Staub machen, beschließt Bernd, dass es doch komplett fahrbar sein müsste.
Während er sich nun konzentriert auf die nächsten überaus steilen Meter vorbereitet, beginnt das Gerangel der Schüler um die besten Aussichtsplätze. Einige riskieren sogar ein kurzzeitiges „unplugged“ – das muss man sich mal vorstellen! In Erwartung des natürlich scheppernden Geräuschs von Alu auf Stein, fummeln sie sich die Stöpsel ihrer Ei-Telefone aus den Ohren.
Während Bernd nun in mehreren Versuchen lernt, dass der Auftritt vor großem Publikum seine Sache nicht ist, beobachten wir von sicherer Warte aus das Treiben im Allgemeinen und im Speziellen Bernd’s heroische Versuche, den Schülern die gekonnte Fahrweise des Bikebergsteigers zu demonstrieren. Wobei ich gerne erwähne, dass einige Wanderer in dieser Passage und dem anschließenden kleinen Schneefeld den Eindruck vermitteln, als hätten sie sich in die Weiße Spinne der Eigernordwand verirrt wo sie nun ums pure Überleben zitterten.
Werner geniesst die luftige Aussicht
Claude in Äktschn
Da straucheln sogar die Wandersleut'
Leztlich kommen aber alle gut zurück nach Hause, die Wanderer genauso wie wir, wobei wir alle viel zu erzählen haben von einem tollen Tag in den Bergen. Beeindruckende Landschaft, wahnsinnige Abfahrt, nette Wandersleut’ – wenn auch in einer gewissen Überdosis- und last not least: italienischer Cappuccino machen aus diesem Tag ein tolles Erlebnis.
Fröhlich marschieren wir ....
Neuer Tag, neue Tour, neue Plackerei. So stapfen wir wieder Richtung der 3.000-Meter-Marke durch die Schutthalden aus Kalkstein ehemaliger Korallenriffe. Das hätten sich die Tierchen vor Jahrmillionen wohl auch nicht träumen lassen, wie viel Schweiß und Anstrengung sie künftigen, damals noch völlig unbekannten Lebewesen abverlangen werden.
Immer weiter gen Gipfel führt der Steig
Dank Seilbahn – nicht für uns aber für alle anderen – und einer gut ausgebauten Hütteninfrastruktur können wir nicht über große Einsamkeit klagen. Bald sehen wir in der Ferne die Ameisenstraße hinauf zum Gipfel ziehen. Hoffentlich sind die Fußgänger uns gegenüber ähnlich gnädig gestimmt wie gestern. In der Gipfelhütte entdecken wir das Foto eines Trial-Motorrads. Da soll einer glauben, wir wären mit unseren Fahrrädern hier noch was Besonderes!
So waren die Reaktionen denn auch eher gemischt, von bajuwarischer Skepsis über norddeutsches Interesse bis hin zum italienischen „Bravo!“ war alles dabei.
Werner zwischen den Blöcken unterhalb des Gipfels
Ein großartiges Panorama begleitet die Tour
Claude fährt eine steile Felspassage
Steile Felsen und tolle Aussicht
Bernd in einer fulftigen Felspassage
Das erste Stück der Abfahrt liegt nun hinter uns, es bescherte viele Schlüsselstellen, die nun nicht unerheblich zum hohen Füllgrad der Speicherkarte meiner Kamera beitragen. Das helle Gestein, die sanften Wiesen im Tal, die Altschneefelder in den Hochlagen und die Aussicht auf andere Gruppen dieses Gebirges machen auch diese Tour zu einem sehr eigenen und tiefem Erlebnis.
Claude immer um Style bemüht
Schnee im Sommer. In den Hochlagen der Alpen an sich nichts Ungewöhnliches. Das Ungewöhnliche ist eher, dass uns das weiße Zeugs, das nun vom Himmel rieselt, nicht wirklich stört. Es sind kleine Flöckchen – eher Körner, die da auf uns fallen. Und wir sind guter Hoffnung, dass es nur ein kurzer Schauer ist. Nachmittags, wenn das Licht langsam schöner wird und bald die letzte Gondel gen Tal schwebt, nimmt die Zahl der Wanderfreunde ab. So stellt sich erstmalig das Gefühl ein die Berge für uns zu haben. Eine gewisse Einsamkeit, die das Erlebnis in dieser einzigartigen Landschaft zu radeln enorm verstärkt.
Flo vor großartiger Dolomitenkulisse
Für so einen Büromenschen wie mich ist das Radelschleppen über viele Höhenmeter und das nachfolgende Bergab-Trailen doch nicht so gewohnt. Dies macht sich am Morgen des dritten Tages bemerkbar, da ich so gar keinen Drang verspüre aufzustehen um noch mal in Richtung irgendeines Berggipfels zu marschieren.
Muss ich auch erstmal nicht, denn jetzt gilt es zu frühstücken – in dieser Disziplin bin ich sehr leistungsfähig – und außerdem gibt’s noch die Gelegenheit das Treiben der Rennradler beobachten, die heute für einige Stunden die Passstraße um die Sellagruppe vom Autoverkehr weitgehend verschont genießen dürfen. Die Straßensperrung führt dazu, dass viele Autofahrer früh starten, um noch vor der Sperrung über den Pass zu kommen. Erstaunlich viele Radfahrer schließen sich diesen an. Offensichtlich möchten sie wenigstens den ersten Pass des Tages noch im gewohnten Abgas-Ambiente abwickeln.
Dann ist es doch so weit, ich muss los.
Das Panorama ist super.
Wie immer.
Die Aussicht droht immer besser zu werden.
Wie an jedem der letzten Tage.
Und ich muss wieder auf den Berg.
So wie die letzten Tage.
Diesmal kann man sogar ein paar Meter radeln, bevor das Rad wieder seinen üblichen Platz auf meinem Rucksack einnimmt. Der Weg wird zum Pfad, dieser wird steiler und der Belag wechselt von Erde zu losem Geröll und irgendwann nehme ich die Hände beim Aufstieg zur Hilfe. Worauf habe ich mich denn da wieder eingelassen!?
An einer sehr windigen Stelle beschließe ich, dass ich nun weit genug gestapft bin und die bevorstehende lange Querung mit Radel nicht wirklich Freude bereitet. So deponiere ich es an einem Felsen und marschiere nach kurzer Pause radellos den Gipfelstürmern hinterher. Auch wenn dieser Berg jetzt insgesamt nicht die Traumabfahrt bot, so lohnt er sich doch wegen seiner Felspassagen, die diverse Fotoshootings vor grandioser Kulisse ermöglichen.
Werner vor großartigem Panorama
Bernd
Werner im steilen Fels
Text und Fotos: Thomas Rychly