Nachdem Fabi und ich zuerst eine 2 1/2 tägige Hüttentour im Ötztal geplant hatten, treibt uns das Wetter doch weiter nach Süden als gedacht. Alternativen haben wir genug im Kopf und der einzig begrenzende Faktor ist, dass wir beide Montag früh auf der Arbeit stehen müssen.
Nachdem ich einen sehr entspannten Freitag in Garmisch und Umgebung ohne Bike verbracht hatte, treffe ich mich am Freitag Abend mit Fabi. Ich habe eine Woche zuvor mein neues Bike aufgebaut und es soll sich seine Sporen verdienen! Der ständige Check der verschiedensten Wetter-Apps bringt leider keine Wetterbesserung sondern lässt uns nur eine Option: Den Weg nach Süden. Daher beschlossen wir unsere Tour mit Hüttenübernachtung einzudampfen und den Samstag im Vinschgau zu verbringen. Doch der Blick aus der Heckklappe am nächsten Morgen bringt erst einmal Ernüchterung. Schlechtes Wetter bei uns, richtig schlechtes Wetter nördlich des Hauptkammes und die vage Hoffnung, dass es im Süden besser ist. Daher entschließen wir uns noch weiter nach Süden bis Kalten an der Weinstraße auszuweichen. Je weiter wir nach Süden kommen, desto besser wird das Wetter. Die Vorfreude steigt! Die ersten Höhenmeter spulen wir routiniert und bester Verfassung in der Schrägseilbahn ab und bahnen uns unseren Weg entlang der verschlungenen Wege in Richtung Süden. Doch das Wetter ist uns nicht ganz so hold. Kurz vor Erreichen der anvisierten Brotzeithütte erwischt uns ein kräftiges Sommergewitter. Da wir noch eine Höhe zu erklimmen haben und eine exponierte Freifläche bis zur Hütte queren müssen, entschließen wir uns im Regen auszuharren. Die Bikes stellten wir in sicherer Entfernung unter anderen Bäumen ab. Als das Gewitter direkt über uns tobt, der Regen auch durch das dickste Geäst tropft und das Wasser im kleinen Bächen durch unsere Schuhe läuft, sind wir ganz froh darüber unsere Eisensammlung nicht bei uns zu haben. Das Gewitter zieht trotz einiger in der Nähe einschlagenden Blitzen weiter und nach einer herrlichen Polenta auf der Hütte rollen wir zum Einstieg.
Die ersten Meter sind nass, rutschig und mit Wurzeln gespickt. Aber jeden Meter den wir tiefer kommen wird uns wärmer und wir kommen besser in Schwung. Steile Wiesen und Schuttreisen wollten gequert werden, enge Spitzkehren wechseln mit flowigen Abschnitten. Der abwechslungsreiche Charakter des Trails bestätigt uns, dass sich die lange Anfahrt gelohnt hat. Wir sind ganz allein auf dem abgelegen Trail und freuen uns über jede gefahrene Stelle und genießen den Sonne-Wolken Mix.
Weiter unten wird der Trail schneller und auch einige Gegenanstiege warten auf uns. Wer erfindet endlich eine Sattelstütze mit ausreichend Hub und Kabelanschlag am Schnellspanner? Aber auch ohne die Stütze fliegt mein neues Radl die Berge hinauf. Nachdem ich vorher nur noch meinen Downhiller zum Fahren hatte, fühlt es sich jetzt an, als würde die Kiste alleine beschleunigen.
Unten im Tal wird der Trail noch einmal deutlich technischer. Steile Stufen mit viel losem Gestein und rutschigem Lehmboden fordern noch einmal volle Konzentration. Die schwüle Luft treibt mir den Schweiß aus den Poren und der Camelbak wird immer leerer. Nach einem Jahr Abstinenz vom Biken fühlt sich viel noch ungewohnt an und ich bin mit ausgepumpten Unterarmen froh endlich unten anzukommen. Den Weg zurück zum Auto wollte ich eigentlich noch mit ein paar netten Trails garnieren, aber ich verpasse den Einstieg und so bleiben uns nur ein paar langweilige Forst- und spaßlose Karrenwege. Trotzdem haben wir am Auto deutlich über 1200hm auf der Uhr stehen und das zusätzlich zu den ca. 850hm die wir mit der Bahn gemacht haben. Eine schöne Tour!
Zurück im Vinschgau beschließen wir noch einen Feierabendtrail einzubauen und wir genießen den Sonnenuntergang auf den Berghängen oberhalb der endlosen Obstplantagen. Zum Abendessen gibt es Radler, leckere Pizza und wir sind uns sicher: Feierabend ist was feines – Ronny Trettman hat recht!
Der nächste Morgen beginnt früh für uns. Wir wollen zeitig von Sölden aus Starten und möchten nicht von der Entourage der Ötztal Radmarathons aufgehalten werden. Bei -2° überqueren wir das Timmelsjoch und befinden uns bis ca 1700 Höhe im Schnee. Die Luft ist nach dem Unwetter des letzten Tages glasklar und wir wir starten mit kalten Fingern und müden Beinen. Die Forststraße windet sich die Berghänge hinauf und mir vergeht schnell die Lust am Treten. Ich schiebe und Fabi ist nach kurzer Zeit aus meinem Blickfeld verschwunden. So stapfe ich durch die langsam erwachenden Wälder in welche die Sonne mit Schnee und etwas Nebel eine mystische Atmosphäre zaubert. Ich bin froh, als wir die ersten Hütten erreichen und ich mit einer Dose Red Bull und etwas Schinken aus dem Vinschgau mir etwas Kraft einverleibe. Die ersten 500hm sind geschafft und die restlichenHöhenmeter des Tages sind fast nur zum Tragen geeignet. Aber es ist ja früh am morgen und ich lasse mir von den Zahlenspielen nicht die gute Laune verderben. Also das Bike auf den Rucksack gelegt und los geht’s! Die kühle Luft und die phantastische Aussicht lassen die Höhenmeter leichter erscheinen. Aber gerade der letzte Aufschwung zur Hütte hat es in sich!
Als wir endlich an der Hütte ankommen begrüßen uns sehr verwundert dreinblickende Gäste und ein sehr freundlicher und interessierter Hüttenwirt. Nach den üblichen Erklärungen über das Warum und Weshalb bekommen wir noch eine Hüttenführung (Wir dürfen sogar die Schuhe anlassen – wo gibt’s denn sowas noch!) durch die vermutlich sauberste Hütte im ganzen Alpenraum. Nicht nur die gute Küche sondern auch die unglaublich Aussicht lassen uns noch etwas länger verweilen als geplant!
Wir machen uns fertig und die Gäste bringen sich in Stellung um zu beobachten wie man hier oben Fahrrad fahren kann. Es geht sogar ganz gut und die folgenden Meter sind wir unter permanenter Beobachtung. Weiter in Richtung Tal wird der Weg weniger felsig und erlaubt es das Tempo zu steigern. Immer mit Blick auf die Uhr und den Höhenmesser fahren wir dem Tal entgegen. Wir haben ja erst die erste Hälfte unserer Tagesetappe geschafft. Über extrem rutschige Wurzeln und ein paar Schneeflecken bahnen wir uns unseren Weg. Mit einem beherzten Sprung von der Holzbrücke biegen wir zum nächsten Wirtshaus ab um uns für die bevorstehenden 1200hm Tragepassage zu stärken.
Nach der Pause geht der Weg recht steil bergan und wir gewinnen schnell an Höhe. Die Weg/Zeitberechnung macht uns schnell klar, dass wir mit der Abfahrt wohl in die Dämmerung kommen werden. Aber egal, denn der Blick auf Zuckerhütl und Wildspitze entschädigt auf langen Passagen des Anstiegs für die Strapazen und wir sind für die Dunkelheit gerüstet. Nach etwas mehr als der Hälfte merken wir deutlich, dass wir schon ein paar Höhenmeter in den Beinen haben. Die letzte Pause am See gibt Kraft und motiviert noch einmal für die letzten steilen Passagen. Auch wenn es von unten betrachtet den Eindruck erweckt, dass man nicht gehender Weise durch diese Felsen gelangen kann, so überrascht einen die Wegführung jedes Mal aufs neue. Wie viel Arbeit ist für diesen Weg aufgebracht worden? Ich steige über die letzten Felsen hoch auf das Plateau und bin wie beim ersten Mal über die Schönheit der Hütte beeindruckt. Ein tolles Werk und wenn man sich die Umstände der Bauzeit vor Augen führt, so beeindruckt es noch mehr. Das Stahlkabel, dessen Weg wir im Aufstieg mehrfach gekreuzt haben, ist noch das Originalkabel mit dem Baumaterial aus dem Tal hinauf geschafft wurde. Heute muss der Hubschrauber kommen und der Hüttenwirt ist mit der Lastenkraxe unterwegs um für frische Lebensmittel zu sorgen.
Eine große Portion Spaghetti bereitet uns auf die Abfahrt vor und die erstem Meter lassen wir im Abendwind hinter uns. Leider fehlt uns wegen der sich senkenden Sonne die Zeit um viel zu probieren und wir müssen tiefer auf die einfacher zu fahrenden Wege kommen. Die Sonne beginnt hinter den Bergen der Umgebung zu verschwinden und der Abendhimmel spiegelt sich in den Seeoberflächen. Abende in den Bergen sind einfach beeindruckend! Der Trail gewinnt an Flow, auch wenn immer wieder Stellen auftauchen, die die volle Konzentration erfordern. In einem schnelleren Stück will ich es etwas laufen lassen und durch einen Fahrfehler befinde ich mich plötzlich deutlich vor meinem Vorderrad. Ich rolle zwar ab, kicke das Rad dabei jedoch in hohem Bogen den Hang hinunter. Während ich die 40hm absteige um es zu bergen, macht Fabi die Helmlampen startklar. Das Rad hat zwar einiges abbekommen, doch ich kann die Tour zum Glück noch zu Ende fahren. Im hellen Schein unserer Lampen fahren wir gen Tal und treffen in Sölden auf die letzten Rennteilnehmer des Ötztal-Marathons. Am Auto angekommen freue ich mich über eine schönes Wochenende in den Bergen, dass wir perfekt genutzt haben! Auch Fabi sieht so aus, als hätte er morgen auf der Arbeit ein paar schöne Erinnerungen. Ich habe jetzt noch ein paar Autobahnkilometer vor mir, aber die sind es definitiv Wert gewesen. Der nächste Freitag kann kommen!
Alle Bilder ©Fabian Gleitsmann